Kreuvfs Allerweltsblog

2007-02-24

“Ekel”-Essen

Abgelegt unter Kurioses,Technologie von Kreuvf um 11:54:46

Habe soeben einen interessanten Artikel mit zumindest mir gar nicht so neuen Fakten bei web.de gesehen und will dies zum Anlass nehmen ein wenig näher darauf einzugehen. Es handelt sich bei dem Artikel um einen kurzen Zusammenschrieb einiger “ekliger” Dinge, die bei uns ins Essen kommen, warum sie ins Essen kommen und ob es ausgezeichnet sein muss, dass diese Dinge im Essen sind.

Lecker Haare

Aus asiatischen Menschenhaaren oder aus Schweineborsten gewinnen Backmischungs-Hersteller den Eiweißbaustein Cystein.

Quelle: web.de
Man kann es sehen wie man will, aber im Endeffekt kriegt man keine Haare zu essen, sondern die Aminosäure L-Cystein, eine der wichtigsten Aminosäuren zur Formgebung unserer Proteine, da diese über eine sog. Thiolgruppe verfügen. Dahinter verbirgt sich nichts weiter als eine -SH-Gruppe. Besteht ein Protein aus min. zwei L-Cystein-Bausteinen, so können sich im entsprechenden Milieu die Wasserstoff-Atome abspalten und die beiden “freiliegenden” Schwefelatome miteinander eine Disulfidbrücke bilden (kann auch zwischen zwei und mehr Proteinen gebildet werden).

Bedenkt man dies, ist Cystein an sich wahrscheinlich nicht mehr so eklig wie es oben klingen mag und solange das Endprodukt der Menschenhaare bzw. Schweineborsten hochrein ist, gibt es doch auch keinen Grund so etwas eklig zu finden.

Was mich viel mehr stört, findet sich im folgenden Absatz:

Wie erkennt man das? Auf verpackten Produkten steht “L-Cystein”, “L-Cysteinhydrochlorid” oder “E 920”. Wird der Stoff angeblich nur zugesetzt, um Knetmaschinen die Arbeit zu erleichtern, findet sich kein Hinweis. Und beim Bäcker ist Information ohne-hin Mangelware: Offen verkaufte Ware muss nur in Ausnahmefällen gekennzeichnet sein.

Hervorhebung von mir. Quelle: web.de
Leider müssen technische Hilfsstoffe, von denen sich sehr wahrscheinlich immer Reste im Endprodukt finden lassen werden, nicht deklariert werden, in einigen Fällen wie etwa beim u.a. für Cola und dunkle Soßen verwendeten Farbstoff (Anmerkung: ist kein technischer Hilfsstoff, sondern Zusatzstoff) Zuckerkulör (E120a-d) gibt der Buchstabe hinter der E-Nummer einen Hinweis auf das Herstellungsverfahren, mit dem der Zusatzstoff hergestellt wurde, und damit auch auf mögliche Reste.

Lecker Holz

Aroma-Techniker mixen Sägespäne, Alkohol, Wasser und einige streng geheime Zutaten, kochen das ganze liebevoll zu Erdbeeraroma.

Quelle: web.de
Ist doch genial! Statt teurer Erdbeeren verwenden zu müssen, kann man den Abfallstoff Sägespäne verwenden und kann so “Frucht”-Joghurt entweder billiger verkaufen oder mehr Gewinn machen. Solange der Kunde das nicht in irgendeiner Form ablehnt, ist die Welt in Ordnung.

Ein Nachteil von dem Ganzen ist dann nur, dass durch den permanenten Einsatz solcher Aromen das echte Aroma einer echten Erdbeere nur noch zur zweiten Wahl wird. Das Bild, mit dem der Artikel bei web.de an dieser Stelle geschmückt ist, ist natürlich irreführend, da es sich nicht um Eisen/Stahl/Metallspäne, sondern um Holzspäne handelt wie man auch selbst noch später feststellt:

Wie erkennt man das? Wenn “natürliches Aroma” auf der Packung steht, ist durchaus Skepsis angebracht. So ist Holz zwar keine Beere, aber immerhin ein Naturprodukt.

Hervorhebung von mir. Quelle: web.de

Lecker Schimmelpilz

Anders als vielleicht vermutet geht es hier nicht um Käse, sondern um Zitronensäure. Anwendung findet diese als Antioxidationsmittel und/oder Säurungsmittel in verschiedensten Lebensmitteln:

Wo steckt’s drin? In Süßigkeiten, Limonaden und Cola, aber auch in Fischkonserven.

Quelle: web.de

Viel interessanter als der Einsatz dürfte die Herstellung der Zitronensäure sein. Man hat herausgefunden, dass der Schimmelpilz Aspergillus niger aus Melasse, einem Abfallprodukt der Zuckerherstellung, Zitronensäure produzieren kann. Bedenklich daran ist lediglich, dass sich in der Zitronensäure Schimmelpilzreste finden könnten, die für Allergiker problematisch wären.

Lecker Kadaver

Übertrieben ist die Überschrift dieses Absatzes:

Kadaver im Gummibärchen

Geschlachtete Tiere werden bis ins Kleinste ausgenutzt. Wird Knochenmehl oder Haut von Rindern und Schweinen hydrolysiert, gekocht, gelaugt, angedickt, entfärbt, gereinigt und getrocknet, erhält man Gelatine.

Quelle: web.de

Jedes Mal, wenn man Fleisch isst, isst man Tierkadaver. Es handelt sich bei der Überschrift also nur um eine möglichst aufsehenerregende Tatsachenbeschreibung, die vielleicht wegen der damit verbundenen Bewusstmachung des eigenen Handels (“Ich esse tote Tiere!”) hervorgerufen wird.

Etwas später kommt natürlich noch die Frage nach der gesundheitlichen Problematik in Bezug auf BSE vor. Es wird dort festgestellt, dass die Befürchtungen, dass durch Gelatine der BSE-Erreger übertragen werden könnte, sich bislang nicht bestätigt haben. Es würde mich zugegebenermaßen auch sehr wundern, wenn ein falsch gefaltetes Protein eine Tortur aus Hydrolysieren, Kochen, Laugen, Andicken, Entfärben, Reinigen und Trocknen in einem Stück überlebt, vor allem dann, wenn man bedenkt wie schwierig es für Forscher weltweit überhaupt ist ein Protein in der Form zu isolieren, in der es unter physiologischen Bedingungen vorkommt.

Fazit: Lecker weiteressen

Die von mir angesprochenen Dinge – und ich habe nicht den gesamten Artikel bei web.de auseinandergenommen – halte ich durchweg für unproblematisch, es ist an einfachen (und weniger einfachen) chemischen Substanzen nichts Ekliges mehr dabei. Genauso wie am Botulinum-Toxin an sich nichts Ekliges ist, sehr wohl aber an verdorbenem Fleisch. Der Artikel an sich hätte durchaus Potential zu einer guten Informationsquelle, aber allein aus dem Teaser geht hervor, dass es (wieder mal) nur um eine möglichst große Sensation geht:

Was steckt wirklich im Essen?

Schweineborsten stehen nicht auf Ihrem Speiseplan? Von wegen! Die Lebensmittelindustrie bringt Ihnen sogar noch ganz andere Ferkeleien auf den Tisch.

Hervorhebung von mir. Quelle: web.de

Durch das “wirklich” im Titel soll wohl versucht werden das Ganze als große Enthüllung darzustellen, obwohl viele, wenn nicht alle, vorgestellten “Ferkeleien” schon sehr lange bekannt sein dürften und sehr wahrscheinlich auch niemals verschwiegen wurden.

Links

Was steckt wirklich im Essen? (Artikel bei web.de)
Wikipedia – Protein
Wikipedia – Thiolgruppe
Wikipedia – Zuckerkulör
Wikipedia – Bestandteile von Holz
Wikipedia – Aspergillus niger
Zusatzstoffe Online (scheint gerade offline zu sein; Verbraucherschützerseite)
Wikipedia – Leiche
Wikipedia – Prion (mit überaus großer Vorsicht zu genießen, siehe dazugehörige Diskussionsseite)
Wikipedia – Botox
Wikipedia – Leichengifte
Rhizopus microsporus und andere Schimmelpilze in der menschlichen Ernährung (hinzugefügt am: 26.02.2007)

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